Dirigent, Pianist und Komponist

guylang —  22. März 2013 — 3 Comments

Conrad Schmid, Solocellist

Es war noch im alten Stadttheater St.Gallen in der Saison 1963/64 – ich war neu als Solocellist im Städtischen Orchester engagiert – als mir mein Pultkollege vor der ersten Probe zur Oper «Manon Lescaut» von Giacomo Puccini zuraunte: «Pass auf, der hört alles…!»

Coni Schmid fuer webseite


Etwas Herzklopfen befiel mich, schliesslich erwarteten mich einige Soli. Dann trat er ins Halbdunkle des Orchestergrabens, DER Dirigent, der nach den vielen Operetten die «ernsten» Sachen unter sich haben sollte: Max Lang. Mittlere Statur, Baslerdeutsch sprechend, den besorgten Blick hinter den Brillengläsern überall gegenwärtig, eher leise sprechend.
Die Probe begann – sogleich brach er ab, immer wieder. Man spürte es: dieser Dirigent hat eine genaue Konzeption. Eine Eigenschaft, eine Qualität, die ihn in all den Jahren nie verliess, durch die er sich auch Feinde schuf. Tragischerweise war es – wie so oft – nur eine Minderheit, die ihn nicht akzeptieren wollte, und nicht die Mehrheit, wie es für Max Lang vielleicht erscheinen musste. Diese Tatsache liess ihn  oft in Abwehrstellung oder resigniert am Pult erscheinen.
Auf jeden Fall bleibt mir besagte Oper «Manon Lescaut» stets voll gegenwärtig in ihrer Schönheit, Lyrik und Dramatik – dies verdanke ich Max Lang.
«Herr Schmed, kenne Si s‘ ‹Tosca›-Cello-Solo? Das mien Si druff ha, das wird emol kho!», sprach er mich mehrmals an. Gemeint hat er das heikle und lange Cello-Solo im 3.Akt der «Tosca». Nein, ich kannte es noch nicht, war aber über seinen Ratschlag froh, denn «es» kam später, wenn auch nicht mit ihm, sondern mit Armin Jordan. Ebenso frühzeitig machte er mich auf die Soli in «Nabucco» von Verdi aufmerksam – eine Oper, die er selbst einstudierte. Er nahm sich Zeit, mit mir die Gestaltung der Cello-Soli nach seinen Vorstellungen zu überarbeiten: das Umfeld, die Atmosphäre, das «aus dem Nichts beginnen».

In den Siebzigerjahren trug ich längere Haare sowie einen Vollbart. Eines eines Abends trat ich durch die Tür ins Stadttheater. «Monsieur Debussy», sprach mich Max Lang gleich an.

Zweimal erlebte ich ihn auf dem Konzertpodium mit Symphonien von Anton Bruckner. Dessen Musik war ihm besonders nah; die Proben waren entsprechend erschöpfend. Stets ein Sich-Einsetzen für die Klangausgewogenheit, die Klangschönheit, das richtige Zeitmass und die Intonation – er hörte alles. Am Abend erstaunten sein Mut und seine Bescheidenheit – vor das Dirigentenpult zu treten, etwas eilig die Brille abzulegen, um die ganze Symphonie auswendig zu dirigieren.

Kammermusik mit Max Lang: Für einen Kammermusikabend mit Titel «Slawische Musik des 20. Jahrhunderts» im neuen Stadttheater, mit Max Lang am Klavier – er war auch ein hervorragender Pianist – entdeckten wir gemeinsam Prokofjews «Sonate für Cello & Klavier» in C-Dur. Es wurde eine sehr intensive Zusammenarbeit, ja ein wahres Erlebnis Prokofjews oft zauberhafte, von derart vielen Farben und unerwarteten Einfällen erfüllte Musikwelt zu entdecken. Mit der Erarbeitung dieses Stückes sind Max und ich uns seelisch besonders nahe gekommen. Dies bleibt mir für immer unvergessen.

In den Achtzigerjahren hegte ich zusammen mit einem Rezitator-Freund aus Stuttgart und einer Pianistin den Wunsch,  Leoš Janáčeks «Märchen» für Cello & Klavier aufzuführen. Dabei sollten Text und Musik ineinander greifen. Nur – der Text des Märchens war unauffindbar. Ich sprach darüber beiläufig mit Max Lang. Dank seiner Recherchen fanden wir nicht nur den – allerdings russischen – Text in einer deutschen Bibliothek, er setzte sich auch mit einem befreundeten Russen aus Konstanz in Verbindung. Diesen hatte für die korrekte, russische Aussprache von Sängerinnen, Sängern und Chor zugezogen, als Rimsky-Korsakows Oper «Der Goldene Hahn» in der Originalsprache aufgeführt wurde. Besagter Russe übersetzte das Märchen ins Deutsche. Sein Deutsch war aber wiederum nicht leicht zu verstehen… Überraschenderweise hat Monique, die Ehefrau von Max Lang freundlicherweise besagten Text in literarisches Deutsch «übersetzt». Soviel Hilfe, soviel uneigennütziges Engagement, aber auch soviel wahres Interesse – dies ein typischer, wunderbarer Charakterzug von Max und Monique Lang! Die «Ur»-Aufführung gelang bestens, und der nun sichtbargewordene Text unterstrich Janáčeks Motivwahl, seinen Farbklang sowie das Unheimliche in dieser Komposition.

Max Lang als Komponist: die Idee, sein Streichquartett zu erarbeiten und uraufzuführen, war für drei meiner Orchesterkollegen und mich ein kleines Wagnis, da wir es nirgendwo «vorhören» konnten. Es war eine Reise in Max Langs sensible, tiefgreifende und manchmal abrupt wechselnde dramatische Innenwelt. Die Aufführung gelang bestens, und aus Dankbarkeit hat uns Max Lang dieses Streichquartett nachträglich gewidmet.
Mit unserer Darbietung des langsamen Satzes des gleichen Streichquartetts, sollten wir uns 1987, allzu früh, von Max Lang für immer verabschieden.

 

Conrad Schmid war von 1963 bis 2001 im Orchester der Stadt St. Gallen tätig. Er lebt heute im Tessin.

3 responses to Dirigent, Pianist und Komponist

  1. Siibylle jäggli 15. Januar 2020 at 06:29

    Ich möchte gerne wissen, wo conrad zu finden ist heute.

Schreibe einen Kommentar

Text formatting is available via select HTML.

<a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong> 

*